FUSSBALL-GEWALTTÄTER
Gericht hält BKA-Datei für rechtswidrig
Seit Jahren füttert das Bundeskriminalamt seine Datei "Gewalttäter Sport" mit Daten über Fußballfans - ohne die notwendige Rechtsverordnung, wie jetzt ein Gericht befand. Eine Praxis, gegen die Fans und Datenschützer seit langem protestieren. Auch andere Polizeidateien sind betroffen.
Hamburg - Legal? Illegal? Ganz egal? Seit Jahren prangert Peter Schaar Willkür und Datensammelwut des Bundeskriminalamtes (BKA) an, jetzt ist der Bundesbeauftragte für Datenschutz sicher: "Damit muss Schluss sein." Denn zum ersten Mal hat Schaar ein Gerichtsurteil auf seiner Seite, das das gesamte polizeiliche Informationssystem Inpol auf den Prüfstand stellt.
Was war passiert? Ein Fan von Hannover 96 hatte auf Löschung seines Namens aus der Datei "Gewalttäter Sport" geklagt, die seit 1994 durch das BKA geführt wird. Das Verwaltungsgericht Hannover gab dem Kläger im vergangenen Mai Recht, das Oberverwaltungsgericht Lüneburg bestätigte die Entscheidung kurz vor Weihnachten. Die Begründung: Da es sich um eine sogenannte Verbunddatei handelt, die auch von den Bundesländern bearbeitet und abgerufen werden kann, sei laut Paragraf 7, Absatz 6 des BKA-Gesetzes eine Rechtsverordnung nötig.
Dafür bedürfe es einer Zustimmung des Bundesrates, doch diese Verordnung ist laut Gerichtsurteil nie erlassen worden, womit die Datei "Gewalttäter Sport" rechtswidrig sei. Datenschützer und Bürgerrechtler kritisieren das seit langem. Zwar halten beide Gruppen eine Datei für verurteilte Hooligans für sinnvoll – jedoch nicht unter diesen rechtlichen Umständen.
Das Lüneburger Urteil ist noch nicht rechtskräftig, denn die beteiligte Polizeidirektion Hannover hat angekündigt, Revision zu beantragen. Die nächste Instanz ist das Bundesverwaltungsgericht. Wenn diese das Urteil bestätigt, könnte das Konsequenzen über den Fußball hinaus haben. Denn das BKA betreibt Dutzende Dateien mit Millionen gespeicherten Datensätzen.
Offiziell weiß niemand, um wie viele es sich handelt. 2000 waren drei Gewalttäter-Dateien hinzugekommen, für politisch links beziehungsweise rechts motivierte Täter und Ausländerkriminalität. Vorbild für diese ebenfalls umstrittenen Dateien war auch die Sammlung "Gewalttäter Sport".
ür Datenschützer Schaar steht fest: "Die Verbunddateien in der jetzigen Form sind ein erheblicher Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Lange blieb seine Empörung beim BKA und dem übergeordneten Bundesministerium des Inneren (BMI) ungehört. Nun fordert Schaar eine intensive Prüfung der bisherigen Vorgehensweise. Sein Verdacht: Wurden persönliche Daten von Millionen Menschen zu Unrecht gesammelt und missbraucht?
Das BKA wollte sich auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE nicht äußern und verwies an das BMI. Dessen Sprecher verteidigte die Datei "Gewalttäter Sport" und argumentierte mit anderslautenden Gerichtsurteilen: "Wir widersprechen den Vorwürfen lebhaft, wir wollen mit der Datei die schwierige Arbeit der Polizei schützen." Das BMI könnte die geforderte Rechtsverordnung zwar nun auf den Weg bringen – damit würde es jedoch die Praxis der vergangenen Jahre in Frage stellen.
Zwischenzeitlich waren rund 10.000 Personen in der Datei "Gewalttäter Sport" erfasst. Unter ihnen waren zweifellos viele Hooligans und Straftäter, aber offenbar auch Fans, deren Personalien lediglich festgestellt worden waren, weil sie sich in der Nähe einer Schlägerei aufhielten oder an einer Demonstration teilnahmen. Eine Verurteilung vor Gericht war und ist für eine Registrierung nicht notwendig, es reichen Hinweise von Polizeibeamten.
"Es handelt sich um reine Prognoseentscheidungen, die willküranfällig sind. Damit geraten immer mehr ungescholtene Personen in polizeiliche Eingriffsmaßnahmen", erläutert Rolf Gössner. Der Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte hatte das BKA 2002 mit dem Big Brother Award getadelt, einem Negativpreis für Organisationen, die es mit dem Datenschutz nicht so genau nehmen. Damals warf Rössner dem BKA eine Verletzung der Grundrechte vor, auf Freizügigkeit, Handlungsfreiheit, Meinungsfreiheit oder Versammlungsfreiheit. Dass seine Laudatio 2009 noch auf Interesse stößt, hätte der Jurist aus Bremen kaum für möglich gehalten.
Kein Urlaub für registrierte Fans
Rössner rügt die "präventive Intoleranz" des BKA und nennt mögliche Folgen eines Eintrags in die "Gewalttäter Sport"-Datei, ob berechtigt oder nicht: Meldeauflagen, Hausbesuche der Polizei, Passentzug oder Reiseverbot. "Fans, die gelistet sind, werden darüber nicht unterrichtet. Wie soll man sich so wehren?", fragt Wilko Zicht, Sprecher des Bündnisses aktiver Fußballfans (Baff). Es sei schon vorgekommen, dass Fans unwissend am Flughafen standen und von ihrem Urlaub abgehalten wurden, weil im Ausland zur selben Zeit ein Spiel ihres Clubs stattfand.
Der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar will nun für eine Überarbeitung der Verbunddateien werben. Ihm gehe es um Transparenz, Differenzierung und eindeutige Kriterien für Dateieinträge. Sollte dem Kläger in Niedersachsen endgültig Recht gegeben werden, könnte den Polizeibehörden eine Klagewelle drohen, möglicherweise sogar Schadensersatzforderungen und die Löschung aller Namen.
Schon jetzt fordern dies zahlreiche Fans mit dem Hinweis auf das Urteil in Hannover, wie Andreas Piastowski auf Anfrage bestätigt. Er ist Leiter der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze in Duisburg, die die Datei "Gewalttäter Sport" verwaltet. "Wir haben nach gültigem Recht gehandelt", sagt er. Eine Prognose, ob dieses Zitat auch noch in einigen Monaten Gültigkeit haben wird, möchte er allerdings nicht abgeben.
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