Laut und nah dran
Das Rudolf Harbig Stadion steht an der viel befahrenen Lennéstraße. Auf der anderen Straßenseite beginnt der Große Garten.
Nichts ist einfacher als ein Fußballstadion? Der Eindruck täuscht. Es ist eine baukünstlerische und städtebauliche Aufgabe, eine statisch-konstruktive Herausforderung, ein ökonomisches Wagnis, eine soziologische Intensivstation – insgesamt eine reichlich komplexe Bauaufgabe. Der Rostocker Architekt Martin Beyer, der bereits das Rostocker Ostseestadion geplant hatte und mit dem Investor HBM den Investorenwettbewerb für das neue Rudolf-Harbig-Stadion gewann, hatte es mit zusätzlichen Erschwernissen zu tun. Während des Spielbetriebs sollte das alte Stadion rings um das Spielfeld abgerissen und das neue errichtet werden. Das Spielfeld konnte also nicht zur Baustelleneinrichtung genutzt werden, aber auch im Umfeld war der Platz nicht üppig, denn das Grundstück an der Lennéstraße ist von allen Seiten eng begrenzt.
Die Nachbarschaft zum Großen Garten brachte sogar den Denkmalschutz auf den Plan. Wie sieht ein gartendenkmalverträgliches Stadion aus? Das mausgraue Gebäude lässt jedenfalls keine denkmalpflegerische Einflussnahme erkennen. Vielleicht sollte man es mit Pappeln umsäumen, den Lieblingsbäumen der Architekten? Eine elegante Erscheinung ist das Stadion ohnehin nicht geworden. Die Konstruktion mit ihren Betonpfeilern pragmatisch und ohne gestalterischen Anspruch, das stählerne Dachtragwerk bieder und ohne Raffinesse, die Farbgebung zurückhaltend – man wollte einem zukünftigen Sponsor und Namensgeber nicht vorgreifen und eventuell mit dessen Kennfarbe in Konflikt kommen. Auf den Reiseplan von Architekturtouristen wird es das neue Stadion also nicht bringen. Dafür auf den Spielplan der Damen-Fußballweltmeisterschaft – mit Recht, denn seine Funktion als Fußballarena erfüllt es mit Bravour. Die kompakte Bauweise gilt als Garant für gute Stimmung, und gute Stimmung ist im Fußball gleichbedeutend mit einem möglichst hohen Lärmpegel, den ein enthusiasmiertes Publikum erzeugt. In keinem Stadion Deutschlands sitzt oder steht der Zuschauer der letzten, obersten Reihe so nahe am Spielgeschehen wie in Dresden. Auch die Anordnung von 38 Reihen in einem Einrangsystem ist ungewöhnlich und bedurfte besonderer Sicherheitsvorkehrungen. So wurde ein spezieller Klappsitz „Sondermodell Dresden“ entwickelt, der im hochgeklappten Zustand nur 20Zentimeter tief ist und 80 Zentimeter Gehbreite (Fluchtwegbreite) freigibt. Mit 11000 von 32000 insgesamt ist der Anteil an Stehplätzen ungewöhnlich hoch, auch dies ein Grund für die hohe Dichte.
Fans mit eigener „Lounge“
Bei Dynamo spielen die Fans eine größere Rolle als anderswo, deshalb hat man den Fanclub in die Planung einbezogen. Es sollte ihr Stadion werden. Deshalb sind die Sitze gelb, farbige Sitze bilden in der Südkurve gegenüber dem Fanblock ein überdimensionales Dynamo-Logo ab. Deshalb haben die Fans ihre eigene „Lounge“ direkt vor ihrer traditionellen Nordkurve.
Die etwas gehobenere Klientel fährt an der Ostseite an der Lennéstraße vor. Für die Mannschaftsbusse öffnet sich eine Einfahrtschleuse zur unbehelligten An- und Abfahrt der Gäste. Die Kabinen für Profimannschaften und Schiedsrichter und die ungewöhnlich großen Kabinen für den Amateurbereich sind nicht wie üblich in den Katakomben verborgen, sondern im Erdgeschoss gut zugänglich angelegt.
Eine lang gestreckte Glasfassade entlang der Lennéstraße ermöglicht Ein- und Durchblick in das Stadion. Wenn am Abend die Lichtvoutendecken der Lobbys erleuchtet sind, strahlt das Innere verheißungsvoll und fast festlich in den Großen Garten.
Weite, helle Räume im Business-Bereich lassen sich auch anderweitig vermieten und sind für verschiedenste Veranstaltungen bereits gut ausgebucht. Ihnen kommen die innenstadtnahe Lage und der freie Ausblick in den Park zugute. Kurze Wege, gute Orientierbarkeit und die Transparenz nach innen und außen sind die großen Vorzüge des Entwurfs. Kein neues architektonisches Highlight ist am Großen Garten entstanden, aber eine stimmungsvolle, optimale Fußballarena. Beste Voraussetzungen also, dass sich Dynamo endlich in höhere Ligaränge aufschwingt.
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