Freitag, 22. Oktober 2010
(Sächsische Zeitung)
Basteln für Dynamo
Von Thilo Alexe
Fußballfans werkeln an einem Riesen-Transparent. Tausende sollen es im Stadion hochziehen.
Die Fans und ihre Choreo
Sie sind infiziert. Alle. Mit dem Dynamo-Virus, sagen sie. Die jungen Männer nennen sich Ultras. Sie hauen sich die Nächte mit skurrilen Bastelarbeiten in zugigen Industriebrachen um die Ohren. Sie malen, kleben und schneiden.
Ihr Ziel: Beim Ostderby gegen Rostock soll am Sonnabend eine Art Riesentransparent über die Köpfe der rund 9000 Stehplatz-Fans im rappelvollen K-Block gezurrt werden. Choreo, nennen es die hartgesottenen Anhänger. „Die wird geil“, ruft Lehmi, der Boss.
Eine große Choreo sorgt für Stimmung im Stadion. Wer das hinbekommt, gilt etwas in der Fanszene. In einer nicht mehr genutzten Halle von Dynamo-Sponsor Veolia an der Dresdner Peripherie liegt sie, die Choreo. Die beiden Haupttransparente aus Kunststoffbahnen sind fast so groß wie ein Fußballfeld. Ein Dynamo-Logo auf rotem Grund ist zu erkennen, Muster in Schwarz und Weiß.
„Alle müssen mitmachen“, sagt Lehmi, der Kapuzenpulli und Jogginghose trägt. So wie gegen Erfurt. Damals bildete der K-Block mithilfe Tausender farbiger Zettel riesige Dynamo-Viren ab – eine logistische Meisterleistung. Gegen Jena zauberten die Ultras einen Spielautomaten auf die Ränge. Mit dem dreifachen Dynamo-D als Jackpot.
Die Show für Sonnabend ist nicht richtig erkennbar. Sie soll auch ein Geheimnis bleiben. Bis kurz vor dem Spiel. Die Ultras raffen die Transparente zusammen und hieven sie auf einen klapprigen Lastwagen. Mike ist Bauingenieur. „Es ist schwer, eine Halle für so was zu finden“, sagt er. Begonnen hat der Männer-Trupp in Meißen. Etwa 30 Fans haben an mehreren Wochenenden gepinselt. „Morgens um fünf waren wir fertig“, sagt Sebastian, ein angehender Ingenieur. Die schweren Transparente lagern eine Nacht auf einer Baustelle. Heute karren die Fans sie ins Stadion und probieren, ob die Idee klappt. Am Sonnabend muss alles sitzen.
Bis zu 5.000 Euro kosten die Bastelarbeiten. Und viel Freizeit. Gönner geben Geld, Sponsoren unterstützen die Aktionen. Manchmal misslingen sie auch – etwa wenn im Block nicht genügend Zuschauer mitmachen.
Ultras sind Besessene. Sie brennen für ihren Verein. Sie wollen Stimmung ins Stadion tragen und kämpfen für niedrige Stehplatzpreise und gegen die Kommerzialisierung des Fußballs generell. Die in Deutschland Ende der 90er-Jahre entstandene derbe Bewegung nach italienischem Vorbild ist in vielen Vereinen aktiv. Doch wohl kein Drittligist hat so ein Ultra-Potenzial wie Dresden.
Akademiker sind darunter, Handwerker, Köche, Hartz-IV-Empfänger. „Wir stammen aus allen Bereichen der Gesellschaft“, sagt Lehmi. Er will seinen richtigen Namen nicht lesen. Lehmi kann die Choreo, für die er geschuftet hat, nicht sehen. Er hat ein zwei Jahre währendes Stadionverbot. Nach Gesprächen mit dem Fußballbund ist er aber guter Hoffnung, dass es verkürzt wird.
Das Treffen verläuft beinahe konspirativ. Allenfalls Vornamen sollen geschrieben, Gesichter nicht gezeigt werden. Die Anspannung ist groß. Aber auch die Angst vor Stadionverboten. Gern werden Ultras für Randale oder Hetz-Plakate wie „Hansa töten“ verantwortlich gemacht. Sie selbst bestreiten das. Vor der ausverkauften Partie warnen die Dresdner Ultras sogar ausdrücklich davor, Böller ins Stadion zu schmuggeln. Die Knallkörper seien eine Gefahr für die Zuschauer.
Unlängst haben 250 von ihnen in Berlin demonstriert. Mit rivalisierenden Ultras anderer Vereine. „Das war schon komisch“, erinnert sich Lehmi. Doch das Ziel hat sie vereint. Die Demo für den Erhalt der Fankultur hatte das Motto: „Fußball lebt durch seine Fans.“ Alles blieb friedlich.
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