Der unbequeme Held
Torwart-Legende René Müller wird heute 50 Jahre alt / Keine Illusionen über den Ost-Fußball
Leipzig/Dresden (DNN). Er stand 46-mal bei DDR-Länderspielen und 81 Mal für Dynamo Dresden in der Bundesliga zwischen den Pfosten, mit dem Lok Leipzig im Europacup-Finale. Heute wird die Torwart-Legende René Müller 50 Jahre alt.
Nein, groß feiern will er nicht, nur kurz anstoßen im türkischen Trainingslager. René Müller betreut das Regionalliga-Team des 1. FC Nürnberg, und er kennt keine Kompromisse. „Fußball ist Dreck, Schweiß, Kampf, nicht Sekt oder Häppchen. Außerdem haben wir ein Testspiel - und was soll ich mit Amateuren feiern?" Er schwört auf Disziplin, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, sagt, was er denkt, eckt an. Ein Diplomat war er nie. - Uli Thomale kennt auch seine andere Seite. „Rene hat eine sehr sensible Seele", weiß sein früherer Trainer. Als Thomale 2004 nach dem Tsunami schwer verletzt im Krankenhaus lag, besuchte ihn Müller ebenso wie nach seiner Krebsoperation 2006. „Nächstenliebe", nennt das der 64-jährige Thomale, der Müllers tiefe Religiosität zwar nicht teilt, aber respektiert. Er schätzt ihn als Menschen, Trainer, Torwart. Auf dem Platz strahlte der grazile Keeper, der über enorme Reflexe verfügte, „eine gewisse Kälte aus, absolute Konzentration", schwärmt Thomale.
Müller kommt aus Markkleeberg. Als Kind war er Fan von Chemie Leipzig, wurde aber für den Rivalen Lok entdeckt. Es folgten Jugendsportschule, Nachwuchsauswahl, Erstliga-Debüt mit 18. Dann saß er drei Jahre auf der Bank, wollte weg, hörte von der Klubführung: Entweder du spielst bei uns oder gar nicht. „Wir waren Leibeigene, viele haben darunter gelitten, einige wurden auch zu ihrem Glück gezwungen." Wie Müller, der sich durchbiss, zweimal Pokalsieger wurde, Nationalkeeper. Reich geworden ist er nicht. „Als ich bei anfing, gab's 500 Mark Grundgehalt, am Ende 1500."
Der DDR-Fußball schmorte im eigenen Saft. Parteifürsten verhinderten Inlands-Wechsel, Transfers in den Westen waren für die Funktionäre ohnehin undenkbar, ein Tabu, schon der leiseste Verdacht auf „Republikflucht" alarmierte die Stasi, die auch Müller verdächtigte. Er erhielt 1983 in Bremen ein Angebot von Werder-Manager Willi Lemke. „Aber ich wäre nur gegangen, wenn es regulär gewesen wäre, ich zurück gekonnt hätte. Ich war überzeugt: Die Besten müssen raus, damit die Nationalelf wettbewerbsfähig wird. Das habe ich Verbands-Chef Karl Zimmermann auch gesagt." Natürlich hätte sich Müller bei EC-Partien absetzen können. Doch die Familie wollte er nicht im Stich lassen. Zum Europacup-Endspiel gegen Ajax Amsterdam (0:1) durfte seine Frau Heike 1987 erstmals mit ins Ausland. Die Chance zu gehen? „Natürlich haben wir in Athen daran gedacht. Aber das hätte verheerende Folgen für unsere Verwandtschaft zu Hause gehabt." Müller blieb, auch weil ihm sein Vater schon mit 17, vor seiner ersten Reise, gesagt hatte: Geh jetzt oder geh nie. Der Vater war Frisör, der Opa Tischler. René wurde nicht als glühender Sozialist erzogen. Als junger Mann sah er die vollen Schaufenster des Westens, glaubte der Propaganda nicht mehr. Dass er später trotzdem in die Partei eintrat, gehört zu den Widersprüchen seines Lebens. Nach der Wende erfüllte er sich Träume. Den seiner Kindheit vom FC Sachsen, den von der Bundesliga in Dresden.
Auch seine zweite Karriere begann in Leipzig-Probstheida, als Trainerassistent beim VfB. Er lernte unter Jörg Berger bei Eintracht Frankfurt in der Bundesliga, wurde Chefcoach in Plauen, Erfurt (Zweitliga-Aufstieg) und Halle, kämpfte mit schwierigen finanziellen Bedingungen. Müller hat keine Illusionen über den Ost-Fußball. Er zollt den Klubs in Cottbus, Rostock, Aue Respekt, sagt aber auch: „Das sind bestenfalls Zweitliga-Städte, nur in Dresden und Leipzig ist mehr möglich."
Am 23. Februar stellt René Müller sein Buch vor: „Ins linke obere Eck." Dort landete 1987 sein entscheidender Elfmeter im Halbfinale gegen Bordeaux, nachdem er zwei Schüsse der Franzosen abgewehrt hatte. Keiner der 110 000 Zuschauer wird sie je vergessen, die Momente des Glücks, in denen der Torwart zum Helden wurde.
Steffen Enigk
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