Eine Stadt will den Aufstieg
Rot-Weiß Essen ist nur noch viertklassig.
Nun wollen die Stadtväter dem Fußballclub auf die Beine helfen
Grosse Veränderungen beginnen oft mit großen Worten. In Essen ist derzeit das Wort "Vision" oft zu hören. Die Vision vom neuen Stadion und einem neu aufgestellten Traditionsclub Rot-Weiß geistert durch die Stadt. Und die Vision, dass dieser Verein bald wieder im bezahlten Fußball zu Hause sein soll. Damit diese Vision Wirklichkeit werden kann, haben die Vereinsmitglieder Mitte Mai für eine Satzungs- und Strukturänderung gestimmt. Ohne das Geld der Stadt wäre dieser Schritt allerdings kaum möglich gewesen.
Allein für den Stadionneubau investiert die Stadt etwa 24 Millionen Euro. Der Großteil davon wird über die Grundstücksverwaltung Essen (GVE), eine hundertprozentige städtische Tochter, abgewickelt. Sie wird auch Bauherrin und spätere Betreiberin des Stadions.
Weitere sieben Millionen Euro für die erste Ausbaustufe für rund 20 000 Zuschauer müssen von Sponsoren getragen werden. Nachdem Evonik sein geplantes Engagement zurückgestellt hat, arbeiten die Verantwortlichen nun fieberhaft daran, das Finanzierungsloch zu stopfen. Sowohl auf städtischer als auch auf Vereinsseite ist man aber optimistisch, dass es gelingen wird, die notwendigen Geldgeber zu finden. Dann könnten im Sommer oder Herbst die Bagger anrollen. 2011 soll der Bau stehen.
Das städtische Engagement für den altehrwürdigen Club finden freilich nicht alle Essener gut. So viel Geld für einen Verein, der nur in der vierthöchsten Spielklasse kickt? Was ist mit der Kultur, den Kindergärten, den Schulen? Gibt es nicht dringlichere Dinge, die finanziert werden müssten? Stadtdirektor Christian Hülsmann versichert, dass wegen des Stadionbaus keine anderen geplanten Investitionen zurückstehen werden. "Hilfreich ist da das Konjunkturpaket II, das für Essen rund 70 Millionen Euro bringt und damit auch entsprechende Freiräume im städtischen Haushalt", sagt er.
Im Übrigen sei in den vergangenen 20 Jahren in Essen eine Menge Geld in andere Bereiche geflossen. Rund 60 Millionen Euro für das neue Opernhaus, ein zweistelliger Millionenbetrag für die Sanierung des Schauspielhauses. Der Saalbau sei erneuert und Millionensummen in das Welterbe Zollverein gesteckt worden. Hinzu kamen Gelder für den Neu- und Umbau von Kitas und Kindergärten und allein 300 Millionen Euro für die Schulsanierung in den letzten zehn Jahren.
"Was verglichen damit eindeutig zu kurz gekommen ist, sind die Sportstätten allgemein und hier insbesondere das Georg-Melches-Stadion", sagt Hülsmann. In den 50er-Jahren erbaut, war es damals eines der modernsten Stadien in Deutschland. Es hatte die erste Flutlichtanlage der Bundesrepublik. Doch die letzte größere Instandhaltung liegt mehr als 20 Jahre zurück. 1994 musste die Westtribüne wegen Baufälligkeit abgerissen werden. Seither sei das Essener Stadion das vermutlich einzige hufeisenförmige Stadion der Republik, sagt Hülsmann.
Wie dringend der Neubau ist, zeigt auch ein Vorfall aus dem vergangenen Jahr. Damals bröckelte der Rand des Daches der Haupttribüne. "Wir sind kurz davor, einzelne Bereiche des jetzigen Stadions schon nicht mehr nutzen zu können", sagt Hülsmann.
Führt man sich dann noch vor Augen, dass selbst in der vierten Liga durchschnittlich immer noch mehr als 7000 Zuschauer zu den RWE-Heimspielen an der Hafenstraße kommen, schließt sich die Argumentationslinie. Außerdem sei es doch nicht so, dass das Stadion gebaut werde und dem Verein Rot-Weiß Essen als Geschenk in den Schoß gelegt werde, sagt RWE-Manager Thomas Strunz. Er ist davon überzeugt, dass sein Verein noch enormes Potenzial hat. Das könne aber nur abgerufen werden, wenn die Stadt den Bürgern und Besuchern ein Stadion biete, das mit den Stadien der umliegenden Städte konkurrieren kann.
Der Einsatz der Stadt beim Stadionbau ist nichts Ungewöhnliches. Das gibt es auch in anderen Städten. Ungewöhnlicher ist allerdings, dass mit rund vier Millionen Euro die Vermarktungsrechte der MK-Mediengruppe übernommen werden und die Stadt dadurch einen Neustart des Vereins ermöglicht. Denn die aus diesen Verträgen resultierenden alten Verbindlichkeiten, die sich im Lauf der Jahre auf über zehn Millionen Euro erhöht haben, haben Rot-Weiß ausgebremst. Welcher Sponsor steigt schon in einen Club ein, wenn er nicht weiß, ob sein Geld für die Tilgung von Altlasten oder in die Zukunft investiert wird?
"Als Retter des Clubs verstehen wir uns aber nicht", sagt Hülsmann. Richtig sei aber, dass die Stadt entscheidend dazu beitragen wolle, dass der Verein überhaupt eine Zukunft im Profifußball hat. "Denn ohne neues Stadion, das sagen alle Berechnungen, hat der Verein diese Zukunft nicht."
Fehlt nur noch der sportliche Erfolg. Der habe nun absolute Priorität, sagt Strunz. Im zurückliegenden Jahr ist das Sportliche eindeutig zu kurz gekommen. Es gab zu viele andere Baustellen. "Von der jetzt geschaffenen Basis können wir durchstarten. Aber das geht nicht auf Knopfdruck. Nur weil wir jetzt ein Stadion bekommen, steigen wir nicht mehrmals in Folge auf. Das wird harte Arbeit", sagt Strunz.
Obwohl die Mannschaft in dieser Saison hinter allen Erwartungen zurückblieb und der Aufstieg in die Dritte Liga fern ist, sieht Strunz die Weichen richtig gestellt. "Die Mannschaft muss zusammenwachsen. Das dauert. Dass wir in diesem Jahr den Aufstieg nicht geschafft haben, wirft uns im Zeitplan nicht zurück", sagt er.
Wird das Stadion tatsächlich Realität, eröffnet das auch den Clubverantwortlichen neue Möglichkeiten. "Natürlich erleichtert die jetzige Situation die Arbeit bei der Verpflichtung neuer Spieler oder der Verlängerung von Verträgen. Jeder hat die Chance, dabei zu sein und etwas Großes und Dauerhaftes zu schaffen", sagt Strunz. Und: "Die Vision zurück in den bezahlten Fußball ist jedem klar."
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